Wettergeschichte – milde Winter vom Mittelalter bis heute in Sachsen

Wenn man sich mit der Wettergeschichte der vergangenen 500 Jahre beschäftigen möchte, dann werden eigentlich ganz, ganz viele verlässliche Daten benötigt. Und da geht das Problem schon los. Erst ab ca. 1800 gibt es vereinzelte, nicht einheitliche Messungen in Sachsen.

In solchen alten Wetterbüchern steht zum Beispiel geschrieben, dass in Oberwiesenthal Pastor Axt die ersten Beobachtungen und Messungen „In einem unbeheizten Zimmer, an guten in Dresden verfertigten Instrumenten in der Zeit vom 1. März 1829 bis zum Monat Dezember 1834 ziemlich regelmäßig um 6, 12, und 20 Uhr durchgeführt hat“. Aber, wie an anderen Stellen auch wurden die Aufzeichnungen leider schnell wieder beendet.

In den Jahrhunderten davor gab es keine Messungen, die dazu nötigen Instrumente wurden erst zwischen 1650 und 1700 herum entwickelt und es dauerte noch lange bis diese auch hier zum Einsatz kamen. Damit bestand nur die Möglichkeit, auf sogenannte Proxydaten zurückzugreifen und das sind Angaben aus den verschiedensten Orts- und Kirchenchroniken, sowie von Hochwassermarken, von Baumringen, Sedimentablagerungen, Eisbohrkernen usw.

Da es in Sachsen „leider“ keine Eisbohrkerne gibt und ich mich mit der „Radiokarbonmethode“ nicht soooo gut auskenne 😊 „mussten“ also solche über 1000 Seiten lange, in alter Schrift „gemalten“ Chroniken von Annaberg, Scheibenberg, Schneeberg usw. herhalten. Wer sich damit schon einmal beschäftigt hat wird bestätigen, man fühlt sich mitten im Geschehen der Vergangenheit, man lernt das Leben der Menschen kennen, wo die Türken standen, wann die Schweden durch das Erzgebirge gezogen sind, welche „Magd“ einen Stadtbrand verursacht hatte, was für Obst und Gemüse angebaut wurde, welche Vegetation anzutreffen war usw. usw.

Die Texte und Informationen sind teilweise etwas eigenartig geschrieben, also häufig verniedlichend, auch wenn die Situation dramatisch war. Außerdem gibt es lange, umfangreiche Umschreibungen, bevor das eigentliche Ereignis genannt wird. Zum Beispiel, in Annaberg wurde ein alter Mann vom herabfallenden Dacheis erschlagen – als erstes wurde Name, Alter, Beruf, welchen Stand er hatte, wie er war, verheiratet, Frau, Kinder usw. genannt. Mit dem eigentlichen Ereignis war man recht schnell fertig. Das klang dann etwa so: Als man ihn gefunden hatte wurde festgestellt, dass das „Gehirn aus dem Kopf gefallen sei“ und deswegen wurde er für „Toth erkläret“.

Bei den Wettererscheinungen gab es ebenfalls einige interessante Begriffe zu erlernen:

  • Ein graülicher Wind hat im Gebürg gestürmet, ein eigenartiger Wirbelwind hat 13 jährigen Bub über den Gottesacker gewehet, schädlicher Sturmwind hat Giebel und Feuermauern eingeworffen,
  • Wetterschlag oder erschröcklich Donner-Wetter = Gewitter,
  • Schneegepläder = Graupelschauer,
  • Eisgepläder oder grosse Schlossen = Hagelschauer,
  • verderblicher Frost = Spätfröste,
  • große Eisfarth = Eisaufbruch der zugefrorenen Flüsse,
  • Wildpret umbfallend = bei Schnee und Frost verhungerte Tiere,
  • große Mahlnoth = Niedrigwasser in den Flüssen, die Mühlen standen still,
  • gute oder schlechte Schlittenbahn = Tage mit Schneedecke, wo die Güter mit dem Schlitten transportiert werden mussten (zuerst dachte ich, die Kinder hatten es damals gut, so lange durften sie mit dem Schlitten fahren und im Schnee spielen 😊).

Im 12. Jahrhundert fingen die mit dem ersten „Berggeschrey“ zugewanderten Siedler von Freiberg aus auch das obere Erzgebirge zu erschließen und zu besiedeln. Diese Menschen waren sehr von „allen Wettern“ abhängig. Deswegen ist es nicht erstaunlich, dass ganz viele, detaillierte und konkrete Anmerkungen zu günstigen und ungünstigen „Wettern“ in dieser Zeit getätigt wurden.

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Nach dem die aus vielen Chroniken und Büchern herausgeschriebenen Erscheinungen und nach Umrechnung auf den gregorianischen Kalender (im jetzigen Sachsen erfolgte keine einheitliche Einführung!!) in einer chronologischen Abfolge erschienen, ergab sich für einen langjährigen, geübten Natur- und Wetterbeobachter oft ein Bild oder ein Film, so als wäre man gerade mitten in dem Wetter drin, sieht die Bodenwetterkarte oder den Radarfilm vor sich und es ergeben sich zum Teil sehr konkrete Einordnungen, wie ein Monat, einen Jahreszeit, ganze Jahre abgelaufen sein könnten.

Aus der über 500 Jahre langen Klimageschichte von Sachsen lassen sind folglicherweise auch die besonders milden, feuchten oder trockenen Winter heraussuchen – passend zu unserem vergangenen ☹, falls man so etwas überhaupt noch als Winter bezeichnen kann.

Rekonstruktion warmer bzw. frühlingshafter, trockener oder nasser Winter:

  • Tage mit flüssigen und festen Niederschlägen
  • Tage mit Graupelschauern, Gewittern, Stürmen
  • Tage mit Schneedecke
  • Angaben zur Temperatur, z.B. „wohlfeil“ sonnige und milde/warme Witterung
  • zum größten Teil oder ganz frost- bzw. schneefrei
  • verspätetes Ende und verfrühter Beginn der Vegetation – Blumen im Winter
  • Verhalten von Vögeln, Fröschen und Insekten
  • Epidemien und Schädlinge können sich rascher verbreiten.
  • in der Messperiode Temperaturen, Niederschläge, Wettererscheinungen, Sonne, Schneedecke usw.
  • Mittelbildung: Zur Abschätzung der von-bis-Spanne wurde bewusst der gesamte Zeitraum ab 1837 genutzt und nicht die willkürlich festgelegte, international gültige Referenzperiode von 1961 bis 1990.
  • Klimaanomalien für die Jahreszeit Mittelwert +3,0 K und darüber
  • Klimaanomalien Einzelmonat Mittelwert +5,0 K und darüber
  • die festgelegten Anomalien und deren Auswirkungen auf den Winterverlauf passen in etwa zu den vor der Messperiode subjektiven Wetter- und Naturbeschreibungen der Chronisten

Milde Winter vor dem Jahr 1500:

Datendichte unbefriedigend – Aufzeichnungen und Auswertungen subjektiv

  • 1185/86 – einer der mildesten Winter überhaupt
  • 1227/28 – überaus zeitiger Vegetationsbeginn
  • 1248/49 – kaum Frost und Schnee bis Ende März, aber kaltes Frühjahr
  • 1289/90 – Weihnachten blühen Blumen, ab Januar haben die Vögel und die Vegetation „Frühling“
  • 1303/04 – äußerst trocken und warm
  • 1327/28 – bereits im Januar blühen Blumen und Bäume
  • 1419/20 – Anfang April blühen die Rosen, Mitte April gibt es reife Kirschen und Erdbeeren
  • 1478/79 – regnerisch mit Sturm, Gewitter und Hagel

Milde Winter im 16. Jahrhundert:

Datendichte unbefriedigend – Aufzeichnungen und Auswertungen subjektiv

  • 1506/07 – „weicher Winter“, Veilchen blühen Mitte Februar, „darauf großes Sterben erfolget“
  • 1521/22 – Stürme und Gewitter, Vegetationsvorsprung „früher Frühling, wie Meien zu Ostern“
  • 1528/29 – sehr mild, im Februar blühen die Veilchen
  • 1529/30 – „elender Winter“ mild, niederschlagsreich, Sturm, im Erzgebirge kurzzeitig viel Schnee
  • 1537/38 – sehr mild und stürmisch, ab Januar bereits blühende Veilchen
  • 1538/39 – äußerst mild, zu Neujahr und Dreikönigstag Kränze aus Veilchen und Kornblumen
  • 1551/52 – anfangs Schnee, ab Januar Tauwetter, Starkregen, Gewitter, Sturm, Hochwasser, Pest  
  • 1567/68 – Januar so warm, dass man das Vieh austrieb, ackerte und säte, ab 25.Februar Spätwinter

Milde Winter im 17. Jahrhundert:

Datendichte unbefriedigend – Aufzeichnungen und Auswertungen subjektiv

  • 1616/17 – wie im Frühling, im Januar blühen die Veilchen, „Lerchen und Drosseln sind lustig“
  • 1628/29 – von November bis Ende Januar hat es „weder geschneiet noch gefrohren“
  • 1649/50 – „hats vor Fastnachten gegrünet, gleichwie im Februario die Violen (Veilchen) geblühet“
  • 1658/59 – schwerer Orkan im Dezember, Januar wie Frühling, die Vögel begannen Nester zu bauen
  • 1661/62 – äußerst milder Winter, „dafür verderblicher Frost mit Schnee und Reif“ vom 08. bis 23.Mai
  • 1673 – Dezember – „Weihnacht-Feiertage waren so lieblich, als sonsten die Frühlings- und Ostertage“
  • 1681/82 – Regen, Sturm, markantes Hochwasser, „weiches und pfulicht ungesund Wetter“, Spätwinter
  • 1685/86 – kaum Schnee/Frost, Sturmflut Nordsee, „schlaffer Winter, in Martio blüheten die Bäume“
  • 1692/93 – „gelinder Winter, wie man so wohl vor als nach Weihnachten das Feld bestellen kunte“
  • 1695/96 – Frost/Schnee 15.Dez. bis 10.Jan., ansonsten schön warm, wie Ostern, Blumen blühten

Milde Winter im 18. Jahrhundert:

Datendichte unbefriedigend – Aufzeichnungen und Auswertungen subjektiv

  • 1701/02 – windig, mild, wahrscheinlich zu trocken, erster Schnee 28. Februar, „welcher nicht dauerte“
  • 1703/04 – mehrere „starcke reissende Winde“ mit erheblichen Schäden, mild und feucht
  • 1706/07 – „beständig liebliches Wetter, bis 08.03. keine Schlittenbahne, immerzu brausende Winde“
  • 1707/08 – „seltsame Witterung, statt der Kälte schöne warme Luft, Felder wurden bestellt“, windig
  • 1710 – Dezember – „sehr bequem, mit Wärme und Sonnenschein, wie Frühlings-Witterung“
  • 1713/14 – kaum Schnee, Stürme mit Schäden, “ wie Pfingsten, keine „Gebürgische Schlittenbahne“
  • 1721/22 – „im Januar hörte man schon auf die Stuben zu heizen“
  • 1723/24 – „wie im Vorjahr wieder ein höchst milder Winter“
  • 1749/50 – „äußerst gelinder Winter ließ Ende März die Obstbäume blühen“
  • 1763/64 – 8 Wochen Vegetationsvorsprung, im Januar blühten die Veilchen und Himmelschlüssel
  • 1789/90 – erster Schnee und Frost Mitte Januar, aber nur für kurze Zeit, ab Mitte Februar Frühling
  • 1794 Februar – „zeichnete sich durch einen ungewöhnlich zeitigen Frühling und Wohlfeilheit aus“
  • 1795/96 – „seit Menschengedenken nicht mehr so schöne warme Tage“, Spätwinter ab 10.02.

Milde Winter im 19. Jahrhundert:

– Datendichte bis 1836 unbefriedigend – Aufzeichnungen und Auswertungen subjektiv
– ab 1837 befriedigend, von Görlitz stehen Monatswerte für Temperatur, Niederschlagsmenge zur Verfügung – Auswertungen objektiv
– ab 1880 gut, von weiteren Stationen sind Tages- und Monatswerte für Temperatur, Niederschlagsmenge, Schneedecke, Wettererscheinungen usw. vorhanden – Auswertungen objektiv
– Klimaanomalien für die Jahreszeit ab +3,0 K, für den Einzelmonat ab +5,0 K über dem Gesamtmittel
– die festgelegten Anomalien und deren Auswirkungen auf den Winterverlauf passen in etwa zu den vor der Messperiode subjektiven Wetter- und Naturbeschreibungen der Chronisten

  • 1809/10 – mild, nass und windig
  • 1817 Januar – „wahre Frühlingswitterung, blühende Primel, dabei von Zeit zu Zeit große Stürme“
  • 1823/24 – wechselhaft, windig, nur 4 bis 5 Tage Frost, Kugelblitz in Oschatz am 11.02.
  • 1824/25 – mild, erst im März Spätwinter
  • 1833/34 – stürmisch, nass, kaum Frost, im Januar treiben die Rosen und blühen die Frühlingsblumen
  • 1834/35 – „zeichnete sich durch einen gelinden Winter aus“
  • 1842/43: (+2,1 K), wenig Frost/Schnee, windig, im Feb. wurde geackert, Bienen/Schmetterlinge flogen
  • 1852 Dezember: (+4,5 K), ztw. fast wie im Frühling, kaum Frost / Schnee, blühende Blumen
  • 1868/69: (+2,4 K), Dez. mild und nass, Jan. kalt und trocken, Feb. (+ 4,5 K), Frühling, Blumen blühen  

Milde Winter im 20. Jahrhundert:

Klimaanomalien für die Jahreszeit ab +3,0 K, für den Einzelmonat ab +5,0 K

  • 1921 Januar: +5,4 K, viel Niederschlag 170%, 2 Tage Schnee- Max. 4 cm, 10 Frosttage
  • 1924/25: +3,0 K, sehr trocken 53% Niederschlag, häufig Sonne, 5 Tage Schnee- Max. 5 cm
  • 1934 Dezember: +5,0 K, trocken 45%, trüb 57 % Sonne, 3 Tage Schnee- Max. 1cm, Minimum -3,3°C
  • 1974/75: +3,3 K, Dez 377% Niederschlag, Orkan, Winter 8 Tage Schnee- Max.6 cm, Februar sonnig
  • 1975 Januar: +5,2 K, 3 Tage mit festem Niederschlag, 2 Tage Schnee- Max 2 cm, 5 Frosttage
  • 1983 Januar: +5,0 K, 209% Niederschlag, 7 Tage Schnee- Max. 4 cm, 6 Frosttage, Minimum -2,4°C
  • 1989/90: +3,7 K, Dezember kurz Winter, ab Mitte Januar Schneeglöckchenblüte und sehr sonnig
  • 1990 Februar: +6,1 K, Sonne 164%, 4 Tage Schnee- Max. 5 cm, 6 Frosttage, Min.-3,8°C, Max. 17,8°C

Milde Winter im 21. Jahrhundert:

Klimaanomalien für die Jahreszeit ab +3,0 K, für den Einzelmonat ab +5,0 K

  • 2002 Februar: +5,3 K, Niederschlag 153%, Sonne 114%, 6 Tage Schnee, 7 Frosttage, Max. 17,4°C
  • 2006/07: +4,4 K, durchgängig zu mild, 130% Niederschlag, Orkan Kyrill (18.01.), Januar kurz Winter
  • 2007 Januar: +5,4 K, Niederschlag 170%, nur vom 23. bis 27. Schnee Max. 23 cm, Frost Min. -16,0°C
  • 2013/14: +3,1 K, trocken 58% Niederschlag, sehr sonnig 137%, kurz Winter vom 21. bis 30.01.
  • 2015/16: +3,1 K, im Januar ztw. winterlich, sonst viel zu mild, etwas zu sonnig
  • 2015 Dezember: +5,6 K, trocken 58%, sonnig 180%, kein Schnee, 5 Frosttage, Min. -2,7°C
  • 2019/20: +4,0 K, etwas zu feucht und zu sonnig, 3 Tage Schnee Max. 2 cm, Min. -5,4°C
  • 2020 Februar: +5,2 K, nass 265 %, trüb, warm, 2 Tage Schnee, 8 Frosttage Min. -3,1°C, Max. 16,0°C
  • 2023/24: +3,5 K, Niederschlag 180%, wenig Sonne 83%, Frost und Schnee Anfang Dez. / Mitte Jan.
  • 2024 Februar: +6,4 K, Niederschlag 219%, Sonne 66%, nur geringer Nachtfrost, kein Schnee
Quelle: DWD

Als Datenquellen standen zu Verfügung:

Stadtchronik Schneeberg von Christian Melzer, die Chroniken von Zwickau, Erzgebirge, Glauchau, Pfarramt Wildenfels von Amtmann Krauß, St. Annenkirche Annaberg-Buchholz, die Chronicon Scheibenbergense (Scheibenberg) von Christian Lehmann, Amtsberg-Wetter / Klimahistorie, Katalog bemerkenswerter Witterungsereignisse von Dr. R. Henning, Stefan Militzer Klima-Umwelt-Mensch, Eilenburgische Chronika, Untersuchung früherer Winter in Mitteleuropa von Prof. Dr. Horst Mahlberg, Stadttagebuch Oschatz von Ratsherr F.W. Mogk, das Klima von Sachsen / Johannes Goldschmidt, Mittelbacher Chronik, Wetteranalyse und Wetterprognosen von Dr. Richard Scherhag, Messwerte Görlitz (ab 1837), Laußnitz (ab 1880)  

Die Wettergeschichte von Sachsen steht „relativ am Anfang“ – es gibt in dieser Hinsicht noch viele Chroniken zu durchforsten. Für Ungereimtheiten oder Fehler der Chronisten bin ich nicht verantwortlich.

Diese private Zusammenstellung der milden Winter darf, auch auszugsweise nur mit meiner Zustimmung weiterverwendet werden.

Autor: Matthias Barth   

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4 Antworten zu Wettergeschichte – milde Winter vom Mittelalter bis heute in Sachsen

  1. klimareihenfritze schreibt:

    Besten Dank für diesen interessanten und unterhaltsamen Rückblick, Matthias! Hast du dir mal die Rekonstruktionen von GLASER & RIEMANN angeschaut? (haben auch so einige fesselnde Bücher über die Klimageschichte Mitteleuropas geschrieben).
    Die Autoren quantifizieren ebenfalls aus Orts-Chroniken und anderen überlieferten Witterungberichten jede Jahreszeit seit anno 1000 und jeden Monat seit dem Jahr 1500 in eine der 7 Temperaturklassen „extrem warm/kalt“, „deutlich zu warm/zu kalt“, etwas zu warm/zu kalt, normal [= Mittelwert 1880-1980]). Sie nutzen dabei Aufzeichnungen von Nordschleswig bis in die Schweiz und von Elsass-Lothringen bis Oberschlesien, decken also Mitteleuropa und insbesondere Deutschland räumlich gut ab: PaleoPaper-GlaserRiemann2009.pdf
    Für Statistikfreune lohnt es sich, sich die zugehörige Exceldatei bei der NOAA von deren „Paleo“-Server zu besorgen.

    Die Übereinstimmung zwischen der Glaser-Riemann-Reihe mit dem DWD-Flächenmittel ab 1881 ist dermaßen hoch (r > 0.95), dass die Glaser-Riemann-Reihe als Rückverlängerung oder auch zur linearen Umrechnung/Abschätzung ab 1500 benutzt werden kann – oder eben auch andersrum: Man klassifiziert die modernen Temperaturmessungen ebenfalls nach dem verwendeten Muster. Aus der resultierenden Gesamtwinterreihe 1500/01 bis 2023/24 ergibt sich nun einiges Bemerkenswertes: Während sich für den kältesten Winter eine Indexsumme von -9 Einheiten ergibt (also 3 extrem zu kalte Monate in Folge), erreichen die mildesten Winter lediglich eine Indexsumme von +3 Einheiten! Man kann wohl auch von den „Sieben Supermildwintern“ sprechen, die alle ganz oben auf dem Treppchen stehen, sich aber mangels Zehntelgrad nicht exakt in eine Reihenfolge pressen lassen. Diese 7 Winter waren:

    • 1520/21 (Dezember deutlich zu mild, Januar etwas zu mild, Februar extrem mild)
    • 1606/07 (alle Wintermonate deutlich zu mild – erste Besonderheit: anschließend zu kalter April! – zweite Besonderheit: es folgte der Jahrhundertwinter 1607/08, in dem Ostsee und Bodensee komplett zugefroren waren)
    • 1707/08 (ebenfalls alle Monate deutlich zu mild – Besonderheit: diesem Winter folgte ebenfalls ein Jahrhundert- und sogar Jahrtausendwinter, nämlich 1708/09, berühmt geworden als „The Great Frost“, worüber Walter Lenke Mitte der 1960er-Jahre in den DWD-Berichten ausführlich berichtet hast, weil erstmals auch Instrumentenmessungen von vielen Orten Europas vorliegen, wenngleich die Geräte damals vielfach noch sehr zu wünschen übrig ließen)
    • 1723/24 (Dezember etwas zu mild, Januar extrem mild, Februar deutlich zu mild – Besonderheit: der November 1723 war auch schon deutlich zu mild)
    • 2006/07 (alle Monate deutlich zu mild: Dezember +3,8 K, Januar +5,5 K, Februar +3,7 K über dem 100-jährigen Mittel 1880-1980 – Besonderheit: dieser Supermildwinter folgte dem extrem warmen Herbst 2006 und wurde gefolgt von dem extrem warmen sonnigen April 2007)
    • 2019/20 (erneut alle Monate deutlich zu mild: Dezember +3,2 K, Januar +4,2 K, Februar +5,1 K)
    • 2023/24 (Dezember +3,5 K, also deutlich zu mild; Januar lediglich +2,2 K und damit in der Klasse „etwas zu mild“, Februar mit +6,4 K dafür extrem zu mild)

    Somit kristallisieren sich zwei Gruppen von Supermildwintern heraus: die ziemlich gleichmäßig und durchgehend deutlich zu milden mit einem monatlichen Indexwert von jeweils +2 (1606/07, 1707/08, 2006/07, 2019/20) und die eher ungleichmäßig milden (1723/24 mit einem nur etwas zu milden Dezember, jedoch extrem warmem Januar einerseits, 1520/21 sowie 2023/24 mit nur etwas zu mildem Januar, jedoch einem extrem milden Februar andererseits)

    Besonders bemerkenswert sind die extrem großen Schwankungen der Wintermonatstemperaturen im 16. und 17. sowie in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts, denn da sind sowohl eine Reihe von extrem kalten als auch extrem milden Wintermonaten aufgetreten, dessen Positivabweichungen seither nicht mehr erreicht wurden oder erstmalig im 21.Jahrhundert erneut.
    Im Detail:

    • Die wärmsten Dezembermonate waren 1537, 1596, 1710 sowie 2015 (Indexwert jeweils +3)
    • Die wärmsten Januarmonate waren 1506, 1625 und 1724 (Indexwert ebenfalls je +3). In den letzten 50 Jahren waren zwar gleich 10 Januarmonate deutlich zu mild (und somit doppelt soviele wie im Mittel der Jahre 1500-1974), aber ein Indexwert von +3 wurde in den letzten 299 Jahren im Januar nicht erreicht
    • Die wärmsten Februarmonate waren 1521, 1540 (vor einem berühmten heißem Sommer!), 1626, 1747 sowie 2024. Es halt hier also eine Pause von 277 Jahren bis zum erneuten Auftreten eines extrem milden Februars gegeben! (der Februar 1990 lag noch knapp unterhalb des Grenzwerts)

    Speziell zu Sachsen ist zu sagen, dass es noch wesentlich mehr Messreihen als nur Görlitz gibt. Für Dresden lassen sich seit 1812 ununterbrochen Monatswerte der Temperatur zusammenstellen, der berühmte Wilhelm Gotthelf Lohrmann errichtete ab 1828 ein sachsenweites Messnetz, von denen sich einige Stationen auch über Lohrmanns frühen Tod (1840) bis zum Aufbau des staatlichen sächsischen Messnetzes 1864 gehalten haben (vgl. hierzu Freydank )
    Leipzig hat sogar eine seit 1759 laufende Temperaturreihe mit Tagesmittelwerten (vor 1825 leider etwas lückenhaft), Berlin als nördlicher Pfeiler verfügt über eine ununterbrochene innerstädtische Messreihe für den Zeitraum 1766-1934, die mit anderen Stadtstationen bzw seit spätestens 1947/48 mit der Station Berlin-Tempelhof fortgesetzt werden kann, im Klementinum Prag als südlichem Pfeiler beginnt die bis heute ununterbrochene Messreihe 1775 (Tageswerte) und in Jena als westlichem Pfeiler begannen die Messungen 1770 (Literatur: H.GREBE „Die Temperaturverhältnisse in Jena…“ von 1936; leider mit einer Lücke von 1801-1813; lückenlose Tagesdaten seit 1821).
    Als östlicher Pfeiler kann zwar Görlitz genutzt werden, beginnt aber tatsächlich erst mit dem Winter 1836/37 und hat außerdem den Nachteil, 1943 von der Innenstadt auf den außenliegenden Flugplatz verlegt worden zu sein, sodass ähnlich wie im Fall Berlin eine Homogenisierung unumgänglich ist.
    Zwecks Ausmerzung dieses Übelstands empfehle ich die Nutzung der Messreihe Sagan / Żagań in der Palatina-Zeit (1780-1791); für den anschließenden Zeitraum kann die Messreihe Breslau / Wroclaw (ab 1792) als östlicher Pfeiler genutzt werden.
    Aus diesengenannten 5 bzw 6 Stützpfeilern ergibt sich ein rechnisches Sachsenmittel, das bis mindestens 1880 gute Dienste leistet. Zudem gibt es die Dresdner Zwingerreihe (1828-1853) und einige andere bei C.BRUHNS abgedruckten Messreihen aus dem 19.Jahrhundert (vgl. hierzu „Resultate aus den meteorologischen Beobachtungen“, v.a. Jahrgänge 1864 und 1865), welche sich zwar nicht immer als „lange Reihen“ eignen, aber zur Gegenüberstellung bzw Verifizierung mit dem „künstlichen“ Sachsenmittel ab 1781 sehr dienlich sein können.
    Fazit: Das Landesflächenmittel für Sachsen auch für die Jahre 1781-1881 verlängerbar. Dabei müssen aber die von Freydank bzw anderen Autoren gegebenen Hinweise bezüglich der Art und Weise der Mittelbildung (verwendete Klimatermine und zeitgenössische Mittelungformeln) beachtet werden, was z.B. bei den derzeit im DWD-CDC erhältlichen Messreihen Jena-Sternwarte und Dresden-Mitte (Zwingerreihe) leider nicht durchgehend gemacht wird, sodass die Dresdner Tagesmittel deutlich zu hoch ausfallen (Messungen am Zwinger zwischen 6 Uhr und 21 Uhr Ortszeit im 3-Stunden-Rhythmus). Auch nicht sinnvoll ist die Nutzung der „Hamburger Seewartenformel“ für die 1883 in Sachsen eingeführten Messtermine 8 Uhr, 14 Uhr und 20 Uhr Ortszeit. Die von P.SCHREIBER errechnete Formel war für Sachsen schon damals die qualitativ beste und ist es auch heute noch (eigentlich sind das 12 Formeln, für jeden Monat mit einem anderem Beiwert „c“, ähnlich wie man es von der Dampdruckformel her kennt — vgl. Schreibers Veröffentlichungen 1883/84)

    Von den sächsischen Messreihen nochmal kurz zurück zur Historie ab 1500 und den Erkenntnissen aus dem Deutschland- bzw Mitteleuropamittel im Hinblick auf das Auftreten sehr milder Winter:

    In früheren Jahrhunderten war die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines sehr kalten Winters nach vorausgegangenen Supermildwintern außerordentlich hoch und auch in unserem 21.Jahrhundert hat es einige ähnliche Fälle gegeben (so z.B. nach den äußerst milden Wintern 2006/07 und 2007/08 folgte 2008/09 mit knackig kaltem Januar, der „letzte richtige“ Kaltwinter 2009/10 sowie der Eis-Dezember 2010). Möglicherweise besteht genau an dieser Stelle sogar ein kausaler Zusammenhang zwischen wiederholt auftretender Westwinddrift, die sich erstmal eine ganze Weile bis hin zu einem Supermildwinter aufschaukeln muss, bevor im darauffolgenden Winter der Polarwirbel komplett zum Erliegen kommen kann.
    Synoptisch ist ein ähnlicher Zusammenhang recht gut bekannt: Eine kurze Winterepisode stellt sich – ähnlich wie bei Kaltlufteinbrüchen in anderen Jahreszeiten auch – besonders häufig nach dem Durchzug einer oder mehrerer starker Stürme, also prägnanter Tiefdruckgebiete ein, wenn die Wirbelbildung an der Polarfront durch ein intensives Hoch nachhaltig abgeschnitten und unterbunden wird. Zum Herantransport kalter Luftmassen (Advektion) ist dann anschließend aber eine Nordost- oder Ostwetterlage erforderlich! Der extrem milde Februar 2024 hat uns wie schon der Februar 1990 gelehrt, dass zeitweiliger (Zwischen-)Hochdruck allein nicht zu Kälte führt, insbesondere wenn das Hoch relativ schnell wieder abgebaut wird.

    Bedingt durch die globale und auch lokale Erwärmung fallen selbst Monate mit „kalten“ Wetterlagenabfolgen heutzutage milder aus als früher, sodass sowohl die Dauer als auch die Intensität kalter Witterungsabschnitte massiv abgenommen haben: Allein in der seit 1908 geführten „modernen“ Berliner Messreihe gab es in den Jahren 2022 und 2023 keinen einzigen Tageskälterekord, während man mit dem Nachtragen der Tageswärmerekorde kaum hinterherkommt (fast jeden Monat Einstellungen oder gebrochene alte Tagesrekorde). Das dürfte für die Wahnsdorf-Klotzsche-Reihe (seit 1917) ganz ähnlich aussehen.

    Die Spanne von sibirischer Kontinentalluft bis hin zu mildester Mittelmeerluft und der ähnlich milden Atlantikbrühe ist dennoch im Winter die weitaus größte von allen Jahreszeiten – und daher ist und bleibt Winterwetter spannend und schön! (gerade auf Bergstationen wie dem Fichtelberg ja zumindest tatsächlich zeitweise tatsächlich „winterlich“).
    Bei uns gab es innerstädtisch stellenweise am 21.Januar (!) die letzte Frostnacht…. dermaßen früh war wohl auch noch kein Winter zu Ende

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  2. astrolady100 schreibt:

    Ein ungemein spannender Beitrag! Hochachtung vor dieser Recherche, das war viel Arbeit.

    LG von Anette

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  3. meteoHRO schreibt:

    Großartig! Was eine aufwendige und bestimmt spannende Recherche 🙂

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