Der schneereiche Winter 1969/70

Schnee schaufeln (hier Straße bei Seifen) gehörte im Winter 1969/70 zum Straßenbild. Quelle: SLUB-Dresden

Vor 50 Jahren gab es in beiden Seiten des damals noch geteilten Deutschland nicht nur einen der längsten und schneereichsten Winter überhaupt – es war auch die Zeit der Hongkong-Grippe. Während die Erwachsenen um Existenz und Leben bangten (es gab je nach Quellen eine halbe bis zwei Millionen Tode weltweit), erfreuten sich die Kinder vor allem an den verlängerten Winterferien, in denen sie bundesweit durchgehend im Schnee tollen konnten. So zeigte am 8. Januar 1970 ein Titelfoto auf einer Münsteraner Zeitung eine Schar munterer Schlitten fahrender Schüler mit einem Transparent: „Schi + Rodel gut – Grippeferien bis 12.1.“. Die Bildunterschrift lautet: „Mit strahlenden Gesichtern genießen die Schulkinder ihre wegen zahlreicher Grippeerkrankungen verlängerten Ferien. Sie können noch ein paar Tage länger die Freuden dieses seltenen Winters voll auskosten.“

Das Straßenbild war überall geprägt von im Schnee feststeckenden Autos und Zügen, Langläufern auf den Straßen, Eisschollen auf den Flüssen, Menschen ohne Heizung, Räumdienste und Schnee schaufelnde Menschen.

In der DDR war die NVA damit beschäftigt, den Alltag zu halten. Zusammen mit hunderttausenden Bürgern aus allen Schichten der DDR-Bevölkerung und Einheiten der Bereitschaftspolizei waren sie im unermüdlichen Einsatz gegen Schnee, Schmelzwasser und Schlamm. Die Autobahnen waren unpassierbar, Fahrzeuge sind steckengeblieben. Die Polizei warnte: „Auf keinen Fall in die südlichen Bezirke fahren, vor allem ins Erzgebirge – so schade es für die Skifahrer auch ist.“

Hier begann der Winter am 25.11.1969 mit einer ersten Ladung Schnee. Aufgrund durchgehend kalter Temperaturen häufte sich der Schnee immer mehr an. Bis Februar war der Schneezuwachs noch gemäßigt, dafür war vor allem der Dezember 1969 ungewöhnlich kalt und Temperaturen sanken bis auf -26,4°C (Marienberg). Ursache war ein massives Kältehoch über Russland und Nordeuropa, welches extrem kalte Luftmassen von Russland her nach Deutschland brachte. Tiefer Luftdruck über West- und Südeuropa drückte mit milden und feuchten Luftmassen dagegen, was immer wieder zu Niederschlagsbildung, aber auch Sturm- und Orkanböen führte.

Anfang März kamen durch ein nordostwärts ziehendes Mittelmeertief nochmals große Schneemengen hinzu und lähmte den kompletten Auto- und Zugverkehr. Selbst in tieferen Lagen des Erzgebirges wurden unvorstellbare Schneehöhen bis 2,20 Meter gemessen. Die Lage war von Ort zu Ort ganz unterschiedlich, je nachdem, was an Geräten zur Verfügung stand. Kettenfahrzeuge und „Russenschneefräsen“, die den Schnee meterweit zur Seite schleuderten, gab es nicht überall. So funktionierte an schneegewohnten Orten der Winterdienst oft, während andere Orte regelrecht von der Außenwelt abgeschnitten wurden.

Winter 1970 in Horni Platna. Quelle: znkr.cz

Auch in Karl Marx Stadt ging damals nichts mehr. Der Verkehr kam komplett zum Erliegen und Straßen waren nicht mehr befahrbar. Am 5. März wurde vom Stadtrat eine Katastrophenkommission einberufen, die sich um die Beräumung kümmern und drohendem Hochwasser vorbeugen soll. Die Schneeberge wurden anschließend mit Güterzügen abtransportiert und die Energiekombinate forderten die Menschen zu Stromsparen auf.

Wolfgang Hinz wohnte damals in Karl-Marx-Stadt und erinnert sich: „Laut meinen damaligen Aufzeichnungen gab es mäßigen bis starken Schneefall von Mittwoch, dem 04. März, 15 Uhr bis Freitag, dem 06. März, 11.45 Uhr. Dazu Sturm und ca. 1m Schnee bei Temperaturen knapp unter 0°C. Mein Vater schaufelte zunächst die Haustüre frei. Schätzungsweise eine 1,5 m hohe Schneewehe. Da war noch Samstags Schule! Der Schulweg von ca. 2.5 km wurde damals noch zu Fuß bewältigt. Es fuhr sowieso nichts. Der Verkehr in Chemnitz war völlig zum Erliegen gekommen. Ich ging in die 10-Klasse und wir bekamen Schaufeln und befreiten die Straße vom Schnee.“

Der Winter dauerte bis weit in den April hinein an. Selbst im Mai gab es immer noch Schneeschauer. Insgesamt lagen in diesem Winter an bis zu 180 Tagen, also ein halbes Jahr lang Schnee (Fichtelberg) und selbst an Ostern (27.-29.03.) konnte man noch Schlitten fahren. Nachfolgend die Schneehöhen und die Andauer der Schneedecke für die Orte des Erzgebirges mit mehr als 1 Meter Schnee auf deutscher und böhmischer Seite sowie einen Beitrag des DDR-Fernsehens zum Katastrophenwinter.

Schneedecke des Winters 1969/70 in Oberwiesenthal und auf dem Fichtelberg
Originalaufzeichnung von Sayda, wo im März 1970 mit 2,20m die höchste Schneehöhe in tieferen Lagen (<750m) im Erzgebirge gemessen wurde.

Quellen:

  • Daten: DWD, sklima.de und persönliche Infos von František Nedvěd (böhmische Werte)
  • „1970 – ein unvergessener Schneewinter im Erzgebirge“ – Freie Presse, 21.01.2017
  • „Als die Stadt im Schnee ertrank“ – Freie Presse, 09.03.2000
  • Artikel aus der DDR-Presse der Staatsbibliothek Berlin
  • „Vor 50 Jahren – Anfang 1970: Als die Hongkong-Grippe ausbrach“ – Westfälische Nachrichten, 27.03.2020
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4 Antworten zu Der schneereiche Winter 1969/70

  1. An den schneereichen Winter vor 50 Jahren kann ich mich noch gut erinnern…

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  2. meteocb schreibt:

    Beeindruckend! Wunderbare Aufnahmen aus dem schneereichen März. Vielen Dank 🙂

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  3. Hk schreibt:

    In dem Winter musste ich zurück nach Hause, Telefon hatten meine Eltern noch nicht,konnte also nicht bescheid sagen ,dass ich in Quickborn bleiben musste. Am nächsten morgen dann zu Fuß nach Bamstedt . Wie standen auf dem Ortsschild von hemdingen. Es war noch nicht gereimt. Nach 3,5 Stunden waren wir in barmstedt. Mein zukünftiger Mann musste aber nach Quickborn zurück. Auf der Hälfte der Strecke konnte er nicht mehr und wollte einfach nur schlafen. Aber unsrer Liebe war frisch und er besann sich und köpfte dann zu Hause gerade noch an die Tür und kippte dann bewusstlos um. Zum Glück hörte das Klopfen seine Oma und rette meinen Schatz. Jedesmal wenn wir heute ..noch.. diese Strecke mit dem Auto fahren fällt uns diese Sache wieder ein.

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