Das Riesengebirge erstreckt sich an der Grenze zwischen Polen und Tschechien auf einer Länge von ca. 70 km von Nordwest nach Südost und erreicht mit der Schneekoppe (tschech. Sněžka, poln. Śnieżka) eine Höhe von 1603 m über NN. Sie ist ein klimatischer Sonderfall und stellt eine „wirkliche arktische Insel“ in Mitteleuropa dar. Mit einer Jahresmitteltemperatur von plus 0,5 Grad (1880 bis 2017) sind die Gipfel des Riesengebirgskammes eher einem Hoch- als einem Mittelgebirge zuzuordnen. Das Klima ist extrem rau und erreicht auf der Schneekoppe Werte, die in den Alpen an exponierten Stellen erst in Höhen von etwa 2100 Metern gemessen werden. Klima und Vegetation werden auf dem Kamm als subalpin und auf der Schneekoppe als alpin beschrieben.

Auf dem Riesengebirgskamm: Hochmoore, Wollgras und Latschenkiefern sind typisch für die Landschaft, im Hintergrund die Schneekoppe. Foto: Matthias Barth
Lange schneereiche Winter und kurze Sommer, ebenso Winterstürme von weit über 200 km/h prägen das Klima. Große Teile des zum Teil hochplateauartigen Kammes verbergen sich 5 bis 7 Monate unter einer Schneedecke. Schneehöhen von mehr als 3 Meter sind dort keine Seltenheit. An den Steilhängen zur Schneegrube, zum Riesengrund usw. können sich Wächten von über 15 Meter ausbilden und in den Schneegruben findet man häufig bis in den Spätsommer letzte Überreste des Winters. Lawinenabgänge sind fast jedes Jahr zu verzeichnen. Das schlimmste ereignete sich am 20.03.1968 mit 19 Toten. 200 Frosttage sind auf der Schneekoppe der Normalfall, nur im Monat Juli ist statistisch nicht damit zu rechnen. An durchschnittlich 120 Tagen (selbst im Sommer) fällt Schnee. 309 Nebeltage und jährliche Niederschlagssummen von 1200 bis 1500 mm (L pro m²) machen das Klima nicht gerade reizvoll. Es gibt aber auch Lichtblicke – die Sonne, durchschnittlich ganze 1425 Stunden hat die Schneekoppe im Jahr zu bieten. Besonders häufig scheint sie im Spätherbst und in den Wintermonaten über der Inversion – über dem Nebelmeer, wo die Luftfeuchte bei fast 0 Prozent liegt und Sichtweiten von 200 Kilometer möglich sind. Allerdings stellt sich dann häufig ein heftiger Föhnsturm auf dem Kamm und am Steilabfall zur polnischen Seite hin ein.
Der Wetterbeobachter erlebt die Schönheiten der Schneekoppe oft auf seine eigene, ganz besondere Art und Weise. In einer atemberaubenden Stille bietet der Berg wunderschöne Sonnenauf- und Untergänge, begleitet von Morgen- oder Abendrot, Purpur- oder Gegenpurpurlicht mit Erdschattenbogen und bei Fernsichten sind auch Luftspiegelungen an entfernten Gebirgen keine Seltenheit. Tolle Glorien, bizarre Nebelfrostablagerungen bis zu 3 Meter und Elmsfeuer bei aufziehenden Gewittern, aber auch das Pfeifen des Sturms am Gebäude und das Spiel der Wolken mit dem Gipfel runden das Bild ab. Ein Traum….

Zwischen den Wolkenfetzen – Sonnenaufgang mit grünem Strahl. Foto: Claudia Hinz
Die Bewohner des Riesengebirges, die sich ab Ende des 12. Jahrhunderts in den Tälern, später auch in den höheren bewaldeten Lagen als Bergbauern, Glasbläser und Bergmänner ansiedelten, bekamen das raue Klima des Gebirges zu spüren. Nicht nur Kälte, Schnee, Regen, Hochwasser und Sturm machten diesen Menschen zu schaffen. Auch zahlreiche nicht bestimmbare Wettererscheinungen wie Elmsfeuer bei Gewitter, dichter Nebel mit Glorien (Brockengespenst), Nebelbögen, mit dicken Raureif zu mystischen Gestalten umfrorene Bäume, Whiteout – weißes Licht wo jede Orientierung verloren geht und auch das Heulen des Windes kamen dazu. All dieser Spuk trug im Mittelalter zu vielen Sagen und Märchen in „Rübezahls Reich“ bei. Später, ab etwa 1750 zog diese interessante Gegend die ersten Besucher und Wissenschaftler an. Bereits 1786 gab es einige Versuche, meteorologische, botanische und physikalische Beobachtungen auf der Schneekoppe vorzunehmen. Meist waren diese nur von kurzer Dauer. Ab Juli 1824 wurden für 11 Jahre meteorologische Messungen durchgeführt, allerdings nur im Sommer, denn im Winter schien ein Überleben in dieser unwirtlichen Natur für die damaligen Forscher nicht möglich zu sein. Die ersten ganzjährigen, aber unvollständigen Wetterbeobachtungen führte kurz vor 1850 der Schneekoppenwirt Carl Siebenhaar durch.

Das Königlich Preußische Observatorium um 1910. Quelle: Bildergalerie Wiesenbaude
Als nach mehrmaligen Aufbauversuchen zwischen 1850 und 1870 dann eine ständig bewirtschaftete Baude und Herberge in Betrieb genommen wurde trat das „Königlich Preußische Meteorologische Institut“ (damals gehörte der polnische Teil des Riesengebirges zu Preußen) an den Gastwirt mit der Bitte heran, eine meteorologische Station errichten zu dürfen. Johann Kirchschlager wurde in Verbindung mit anderen Tätigkeiten von 1880 bis 1900 Wetterbeobachter auf der Schneekoppe. Damit war der Grundstein für die bis heute fortlaufende Beobachtungsreihe gelegt. Im Jahr 1898 ist vom „Königlich Preußischen Meteorologischen Institut“ der Plan zum Bau eines Observatoriums in Angriff genommen worden. Bis zur Einweihung war es ein kurzer aber harter, steiniger, durch Eis und Schnee zusätzlich erschwerter Weg. Doch am 05. Juni 1900 war es soweit, die überwiegend aus Holz konstruierte und mit Stahlseilen abgespannte Wetterwarte nahm den Betrieb auf.
Der erste mit seiner Familie oben lebende langjährige Wetterwart wurde von September 1901 bis Juli 1933 Ludwig Schwarz. Er, seine Frau und im Laufe der Zeit 7 Kinder lebten in den engen unteren Räumen des Stationsgebäudes. Im ersten Stock waren die Dienstzimmer untergebracht, darüber befand sich ein Turm mit Aussichtsplattform und den meteorologischen Instrumenten.
Als Ludwig Schwarz am 01. Juli 1933 nach 32 Dienstjahren auf der Schneekoppe altershalber seinen Posten übergeben musste sagte er, dass … „die Wetterwarte so manchen Sturm erlebte. Doch nichts hat sie wankend gemacht. Flogen auch die zentnerschweren eisernen Windmesser wiederholt wie Spielzeuge in den Riesengrund, verbog die Wucht gewaltiger Winterstürme die Blitzableiter zu krummen Gebilden, feststehen blieb doch das mit stählernen Trossen verankerte Meisterwerk Grossers“ (Baurat und Planer der Wetterwarte). Seine Nachfolger hielten es jedoch nur für kurze Zeiträume unter den rauen Bedingungen auf dem Berg aus.
Der letzte deutsche Meteorologe war Kurt Glaß, der am 14. Oktober 1943 seinen Dienst auf der Schneekoppe antrat und bis kurz nach Ende des 2. Weltkrieges mit seiner späteren Ehefrau Elfriede unter dem Schutz polnischer Soldaten, mit polnischer Verpflegung, den Dienstbetrieb weiterführte. Er war es auch, der wenige Stunden nach Kriegsende die befohlene Sprengung der Wetterwarte verhinderte.

Kurt Glaß mit polnischen Soldaten vor der Wetterwarte. Quelle: Fotoalbum Elfriede Glaß
Doch auch die Beiden mussten nach kurzer Zeit fliehen und wurden später (1947) auf dem Brocken mit der Sicherung von verschütteten Wetterdaten und dem Aufbau der durch amerikanisches Militär völlig zerstörten Wetterwarte beauftragt.
Nahezu ohne Einschränkungen ging die Wetterstation am 16. Juli 1945 in polnischen Besitz über und wurde durch den neu gegründeten Wetterdienst in gleicher, dem damaligen Standard entsprechender Art und Weise weitergeführt. Bereits 1949 gab es erste Überlegungen ein neues Observatorium auf dem Gipfel zu errichten. Doch zuvor musste der Zufahrtsweg auf den Berg ausgebaut und die alte preußische Bergbaude abgerissen werden. Die neue Herberge, das „Ufo-Gebäude“ mit seinen drei „Tellern“ für die Wetterbeobachter und einem Restaurant für die Wanderer war eine ungeheure Investition. Der Aufbau erfolgte von 1964 bis 1969. Doch wegen verschiedenartiger Probleme konnte die Wetterbeobachtung und Messung erst am 23. Oktober 1976 vollständig im neuen Observatorium beginnen, ab diesem Zeitpunkt stand die alte Wetterwarte leer.

1977 – neue Wetterwarte links, alte Wetterwarte rechts außer Betrieb und mit Nebelfrost vereist. Foto: Eberhard Barth

1984 – die alte Wetterwarte verfällt zunehmend. Foto: Wolfgang Hinz
Auf Grund des schlechten Zustandes und wegen der Sicherheit für die Touristen wurde 1989 dieses historische Bauwerk abgerissen. Es gab zwar gewisse Pläne über einen Wiederaufbau in Karpacz (Krummhübel), die aber leider nicht verwirklicht werden konnten – 89 Jahre betrug somit das Alter des ehemals preußisch meteorologischen Observatoriums.

Februar 2009: Die Schönheit von Schnee und Eis – links befindet sich der Eingang zur Wetterwarte. Foto: Matthias Barth
Es folgten weitere 4 Wochen Schnee und Eis – dann, in der Nacht vom 15. zum 16. März 2009 ereignete sich für die Wetterbeobachtung auf der Schneekoppe eine große Katastrophe. Nach nunmehr knapp 5 Monaten Frost, einer Schneehöhe von 250 cm, Nebelfrostablagerungen von mehr als 3 Metern und Orkan mit 140 km/h drohte die Wetterwarte einzustürzen. Der Turmrundgang brach herunter und die Statik des Gebäudes war verzogen. Die Mitarbeiter mussten evakuiert werden!!!

Eingestürztes polnisches Observatorium. Foto: Marek N. (Wikimedia)
Fortan wurde der Schichtbetrieb und die Wetterbeobachtung in der polnischen Baude Schronisko Dom Śląski (Schlesierhaus) am Fuße der Schneekoppe, ca. 200 m tiefer gelegen und eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt weitergeführt. Nach Sicherung und baulicher Instandsetzung des Gebäudes konnten die meteorologischen Messungen ab Herbst 2009 wieder auf dem Gipfel der Schneekoppe vorgenommen werden, allerdings automatisiert. Da aber, besonders im Winterhalbjahr eine nahezu ständige Betreuung, Pflege und Wartung der permanent vereisten Messtechnik notwendig war und das bei jedem Wetter !!!, egal ob Schneesturm, minus 10 Grad und Nebel mit Sicht Null…. erwies sich diese Praxis als gefährliche Sisyphusarbeit – wer war schneller, das Eis oder der Mensch???
Entgegen den Planungen einiger anderer Wetterdienste in Europa wurde vom polnischen Institut für Meteorologie und Wasserwirtschaft (IMGW) entschieden diese wichtige meteorologische Station 1. Ordnung (internationale Stationskennziffer 12510) nicht im automatischen Betrieb weiter laufen zu lassen. Es erfolgte eine grundlegende und kostenintensive Sanierung. Im Mai 2016 konnten die Wetterbeobachter dann ihre „neue“ Station mit Konferenzraum, Einbauküche, Waschmaschine, Sanitäranlagen, Schlafmöglichkeiten und dem Beobachterraum im oberen „Teller“, mit einem herrlichen Rundumblick, wieder beziehen. 6 Kollegen teilen sich in den Schichtdienst. Jeweils einer arbeitet von 06 bis 18 Uhr bzw. von 18 bis 06 Uhr und die beiden verbleiben 10 Tage auf dem Berg. Alle Mitarbeiter haben das Glück, dieses bald 140 jährige Vermächtnis weiter führen zu dürfen, welches die vielen engagierten Beobachter vor ihnen unter schwierigsten Bedingungen und jedem Wetter zum Trotz akribisch aufgezeichnet und zum Ende des zweiten Weltkrieges für die Nachwelt gesichert haben. Gerade solchen exponierten Wetterwarten, die aus der Grundschicht herausragen, wo der menschliche Einfluss auf das unmittelbare Umfeld gering ist haben „Wir“ es zu verdanken, dass die klimatischen Veränderungen vom Ende der sogenannten kleinen Eiszeit in unsere jetzige Warmphase nachvollziehbar sind und auch bleiben. „Wir“ sollten alles daran setzen diesen wissenschaftlichen Schatz in vergleichbarer Art und Weise auch an anderen gut ausgewählten Standorten für spätere Generationen fortzuschreiben. (mb)

Blick vom Dach der wieder mit Personal besetzten Wetterwarte. Foto: Matthias Barth
Wetterdaten der Schneekoppe:
Koordinaten: 50°44‘10‘‘ N, 15°44‘24‘‘ E, Waldgrenze: ca. 1300m NN, Baumgrenze: ca. 1500 m NN
(Leider stehen keine einheitlichen Daten für den Gesamtzeitraum zur Verfügung. Durch die unterschiedlichen Bezugszeiträume kann es zu Abweichungen kommen.)

Verlauf der Jahresmitteltemperatur auf der Schneekoppe von 1880 bis 2017.
Literatur:
- eigene Erfahrungen und Recherchen bei häufigen Besuchen im Riesengebirge, auf der Schneekoppe und der Wetterwarte.
- 10. Annaberger Klimatage – Vortrag von Frau Dr. Irena Otop (IMGW Wroclaw) zum Klima im Riesengebirge
- Klimawandel Schneekoppe
- „Die Schneekoppe“ von Karl-Heinz Drescher
- „Meteorologische Station Schneekoppe 1900 – 1989“ von Karl-Heinz Drescher
- Interview mit dem ehemaligen Koppenwirt Heinrich Pohl, „Schlesische Rundschau“ von 1956
- Jahrbücher vom Preußischen Meteorologischen Institut
- „Der Riesengebirgler“ und Auszüge aus weiteren schlesischen Heimatzeitschriften
- Observatorium Schneekoppe des Reichswetterdienstes
- Observatorium Schneekoppe des polnischen Wetterdienstes
- Wikipedia
Das ist wieder einmal ein sehr eindrucksvoller Beitrag mit meteorologischen, historischen und nicht zuletzt menschlichen Aspekten.
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Klasse Beitrag, vielen Dank.
Die Schneekoppe erfreut sich einer immer größere werdenden Beliebheit. Grade dieses „alpine“ Flair ist dann schon etwas Besonderes.
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